Fotos: Inken
Das diesjährige Haldern Pop stand unter dem Motto „Da Sein/ Being There“ und feierte 40-jähriges Bestehen. Vom 3.-5. August 2023 konnten die Besuchenden das Jubiläum feiern, der Musik lauschen und entspannte Festivaltage genießen.
Zunächst muss gesagt werden, dass die Wetteraussichten an diesem Wochenende unter keinem guten Stern standen – egal, auf welchem Festival man sich herumtrieb. So können wir von Glück im Unglück sprechen, dass wir – gerade auf dem Campingplatz angekommen – die Zelte fix aufgebaut haben, da es kurz darauf in Strömen anfängt zu regnen, sogar kurzzeitig gewittert. Von da an werden Gummistiefel und Regenponcho unsere treuen Begleiter für die kommenden Tage, um dem ganzen Schlamm und Matsch sowie Regen zu trotzen. In diesem Sinne ein Chapeau auf die Organisation des Halderns! Danke für das Aufschütten von Sägespänen über Nacht, welche die Fläche etwas begehbarer machten, das Verlegen der Bodenplatten, das Hin- und Herfahren der Traktoren, das Abschleppen der festgefahrenen Fahrzeuge, die exzellente Kommunikation bzgl. der wettertechnischen Begebenheiten und des damit verbundenen logistischen Aufwands für Crew und teils die Besuchenden. Man mag sich gar nicht ausmalen, vor welchen Szenarien das ganze Team während der regenreichen Tage stand und wie viele Nächte Schlaf von allen Beteiligten im Nachhinein nachgeholt werden mussten. Nun aber von Anfang an. Nachfolgend berichten wir über unsere Highlights.
Donnerstag
Das Spiegeltent ist schon zum Soundcheck der New Yorker Band Nation of Language sehr gut gefüllt und es wird von Minute zu Minute enger und unbeweglicher. Die letzten Zentimeter, die uns bleiben, werden zum Tanzen genutzt, denn genau dazu motiviert ihr treibender, verträumter Synth-Pop- und New-Wave-Sound. Wir schnappen mehrmals auf, dass es der uns nebenstehenden Gruppe zu poppig sei. Wer ausschließlich auf schrammelige Gitarren und Schlagzeugarrangements steht, wie sie unter anderem, jedoch nicht ausschließlich, im Spiegeltent zu finden sind, ist hier an der falschen Adresse, denn Nation of Language wissen genau, wie sie die Synthesizer einzusetzen haben, aber auch Ian Devaneys Stimme überzeugt uns von Anfang bis Ende. Beim Singen schließt er fast durchgängig die Augen und tanzt vor sich hin. Die drei Musiker*innen geben unter anderem „Too Much, Enough“, „Weak In Your Light“, „Sole Obsession“, „The Wall And I“ und „September Again“ zum Besten, agieren eher zurückhaltend mit dem Publikum und wirken dabei angenehm unaufgeregt. (Zu sehen sind Nation of Language am 15. September in Berlin, am 16. in Hamburg und am 20. in Köln.)
Für ein weiteres Konzert ins Spiegeltent zieht uns die Nord-Londoner Band Sorry. Ihre Musik findet sich zwischen Indie-Rock, Grunge und Post-Punk mit einem Hauch elektronischer Elemente wieder und erinnert teilweise u.a. an Blur. Die zarte, leicht nuschelnde Stimme von Sängerin Asha Lorenz harmoniert mit der gitarrenlastigen Musik, auch Gitarrist Louis O’Bryen übernimmt ein paar Strophen, beide Stimmen ergänzen sich gut miteinander, was besonders beim Stück „Screaming In The Rain“ zum Vorschein kommt. Auf der Bühne hat Sorry gleichzeitig etwas kühl-cooles, sie machen ihr Ding, und doch lockern sie ihr Bild mit den Fliegermützen, die sie tragen, auf. Wir können Sorry sehr empfehlen, ebenso ihre im vorigen Jahr erschienene Platte „Anywhere But Here“, von welcher sie einige Stücke spielen, u.a. „Closer“, „Let The Lights On“, „Willow Tree“.
Am Donnerstag außerdem gesehen: Balming Tiger, Tom Odell, Adam French.
Freitag
Am Freitag verzaubert Douglas Dare das Publikum in der Kirche mit seiner sanften und humorvollen Art. Zwischen den Liedern wendet er sich immer wieder an die Zuhörenden und erzählt beispielsweise, dass er bereits eher anreiste und sich direkt wohlfühlte, da das Regenwetter wie zu Hause, also in Großbritannien, sei. Am Vortag wollte er selbst als Zuschauer ins Spiegeltent gehen, hatte jedoch kein passendes Schuhwerk parat. An dieser Stelle möchten wir hinzufügen, dass es am Donnerstag wahrlich beschwerlich zuging, wollte man auf dem Festivalgelände vorankommen, da der starke Regen sämtliche Flächen und Wege in ein einziges Schlammfeld verwandelt hatte. Douglas hätte also definitiv Gummi- oder Wanderstiefel gebraucht. Es braucht an diesem Nachmittag nicht mehr als Douglas´ jeden Ton treffende Stimme, den bereitstehenden schwarzen Flügel und eine besondere Überraschung am Ende des Konzerts, welche der Grund für seine frühere Ankunft war. Für „Heavenly Bodies“ summt er mehrere Stimmen ein, loopt diese und kommentiert dabei, er sei jetzt das String Quartet (des London Contemporary Orchestras). „Swim“, „The Joy in Sarah’s Eyes“ und „I am Free“ werden gespielt und von Douglas´ dezentem Tanz begleitet. Am Ende präsentiert er die Überraschung.
Der vor ihm in der Kirche aufgetretene und jährlich performende Berliner Chor Cantus Domus betritt den Altarraum und bildet einen Halbkreis um Douglas Dare, welcher sich sichtlich freut. Er verkündet, dass sie am Vortag zusammen übten und dies nun die Premiere seines neuen Songs „Omni“ sein wird. Das Stück hebt sich sehr von den bis dato gespielten ab und lässt sich in zwei Teile gliedern. Der erste Part hat etwas Rituelles, Betörendes und setzt sich aus Douglas´ Gesang und dem des Chors zusammen. Eine minimalistische elektronische Melodie, ein passender, ebenfalls minimalistischer, etwas „abgehakter“ Gesang seitens Douglas, zusammen mit vereinzelt einsetzenden Stimmen, die zum Ende immer mehr anschwellen und einen Höhepunkt finden, bilden den zweiten Part des Stückes. Als finaler Song und runder Abschluss folgt „Red Arrows“, welcher ebenso vom Cantus Domus untermalt wird.
Wenig später bespielt Tristan Brusch ebenfalls die voll besetzte Kirche. Er meint, er hätte viele nicht so positive Songs dabei, aber da es ihm gerade sehr gut gehe, könne er sie spielen und uns damit deprimieren. Wer mit dieser Aussage humorvoll umgehen kann, wird sich auch nicht an seinen in diesem Ambiente teils brutal wirkenden und erzählerischen Lyrics stören. So mag es beispielsweise, passend zum letzten Albumtitel „Am Wahn“, etwas wahnwitzig rüberkommen, dass er in einer Kirche vor dem Altar die Zeilen seines Songs „Monster“ singt: „(…) kein Gott, kein Staat und keine Liebe (…)“ oder in „Am Herz vorbei“ zum Besten gibt, wie er, aus Sicht einer eifersüchtigen Person, den neuen Liebhaber seiner Ex-Partnerin ersticht. Wir stellen fest, dass Tristan für uns mit niemandem sonst in der deutschen Pop- und Liedermacherszene zu vergleichen ist. Seine Texte gehen bis ins Mark, berühren, lassen Tränen kullern und dank der metaphorischen, dichterischen Schreibweise trotzdem viel Interpretationsspielraum. Nichts ist ganz eindeutig formuliert, so wie es im deutschen Pop sonst gang und gäbe ist. Wahrscheinlich kann niemand so malerisch und leicht beschreiben, was eine Maus, eine Ratte und eine Taube in einer Großstadt erleben und dazu überleiten, dass er sich als Teil dieses „Abschaums“, wie im gleichnamigen Song „Der Abschaum“, sieht und wieso fühlen wir als Hörer*innen ihm dadurch eigentlich noch verbundener? Neben weiteren Liedern wie „Wahnsinn mich zu lieben“, „Mirage“, „Am Rest“, „Oh Lord“ oder „Baggersee“ spielt Tristan als letztes ein neues Stück, welches er für das Theaterstück „Woyzeck“ am Berliner Ensemble geschrieben hat. In diesem Zuge erzählt er, dass „Am Wahn“ sein letztes Album sein sollte, dann aber die Anfrage kam, die Musik für „Woyzeck“ zu schaffen, wodurch wir am 22.09. mehr von ihm hören werden, wenn sie als LP erscheint. Abschließend bedankt er sich für das „Kommen und Schnauze halten“.
Nach den Konzerten in der Kirche geht es weiter Richtung Spiegeltent zu Katy J Pearson. Zu ihrem unbeschwerten Sound, der irgendwo zwischen den 70ern, Country und Folk-Rock gestrandet ist, entsteht die Lust, alles um sich herum zu vergessen und einfach mit sich selbst zu tanzen. Das funktioniert auch ganz wunderbar und wir lauschen zu den träumerisch-schönen Stücken wie „Float“, „Hey You“ „Sound Of The Morning“, „Beautiful Soul“, „Talk Over Down“ und „Fix Me Up“.
Wir freuen uns auf Porridge Radio, die wir endlich einmal live erleben können. Auf der Hauptbühne stehend, zieht die britische Sängerin Dana Margolin mit ihrem kraftvollen, tiefen, manchmal fast schreienden Stimmklang und der positiven Energie, die sie versprüht, alle in den Bann. Musikalisch bewegen sich Porridge Radio zwischen Indie-Pop und -Rock sowie Post-Punk, die Songs sind immer wieder von Synthies durchzogen. Mittlerweile haben sie schon drei Alben veröffentlicht, alle sind hörenswert. Das Abschlusslied von Porridge Radio ist „Back To The Radio“, in welchem die Sängerin irgendwann in der Menge verschwindet und immer wieder „back“ abwechselnd singt und schreit.
Am Freitag außerdem gesehen: Cantus Domus & Sven Helbig, Lie Ning, Bear’s Den.
Samstag
Am Samstag Nachmittag steht das österreichische Quartett Bipolar Feminin um Sängerin Leni Ulrich auf unserem Plan. Ihre starken, kritischen, gar polarisierenden Texte füllen das Spiegeltent mit Power. Vermutlich ist man entweder Fan von der Band, oder man kann nichts mit ihnen anfangen, wir zählen uns zu ersteren. Bipolar Feminin spielen sowohl Stücke ihrer EP „Piccolo Family“, die 2022 erschienen ist, als auch von ihrer im Mai dieses Jahres erschienenen LP „Ein fragiles System“. Die Band kreidet die Gesellschaft, das Patriarchat und Machtstrukturen an, was in Songs wie „Tüchtig“, „Fett“, „Wie es ist“, „Sie reden so laut“ oder „Süß lächelnd“ deutlich zum Vorschein kommt.
Unser letztes Highlight stellt die belgische Sängerin Sylvie Kreusch dar, welche einen etwas außergewöhnlichen Soundcheck im vollen Spiegeltent darbietet. Alle Bandkolleg*innen befinden sich an ihren Instrumenten, wobei uns gleich zu Anfang auffällt, dass ein besonderes Konstrukt, bestehend aus einer Radfelge, einem Sammelsurium an Schlüsseln, einer Vielzahl an Glocken und Kuhglocken, die Percussions ergänzt. Sylvie steht rechts unterhalb der Bühne, lehnt sich aus einer Tür zum Backstagebereich, singt von dort testweise ins Mikro und bewegt sich nur minimal. Zudem trägt sie eine Sonnenbrille und möchte sich sichtlich von nichts ablenken lassen. Dieser Plan geht nicht vollends auf. Zumindest nehmen wir die große und mysteriöse Erscheinung der Sängerin trotz allem sehr präsent wahr und kommen nicht davon ab, sie anzustarren. „Falling High“ leitet ihr Konzert ein und wird durch weitere Tracks wie „Walk Walk“, „Let It All Burn“ oder „All Of Me“ ihres Debütalbums „Montbray“ ergänzt. Singleauskopplungen wie „Just A Touch Away“ oder „Seedy Tricks“ finden ebenfalls ihren Weg auf die Bühne und verzaubern uns, was nicht minder an Sylvies Art und Weise zu singen und sich zu bewegen liegen mag. Auch wenn sie die Sonnenbrille gelegentlich aus dem Gesicht nimmt, befördert sie diese kurz darauf wieder an Ort und Stelle. Es ist ein Wechselbad aus womöglicher Schüchternheit, Geheimnisumwobenem und einigen extrovertierten, explosionsartigen Gesten und Tänzen, wobei sie sich mehrmals über die Abgrenzung zum Publikum hinüberlehnt.
Am Samstag außerdem gesehen: Emelie Zoe, Famous, Glen Hansard, Lanterns on the Lake, Baby Volcano, Hania Rani.
Ein unaufgeregter Geburtstag
Überall im Ort hingen Wimpelketten und es war erneut schön zu sehen, wie sich die Menschen aus der Umgebung auf das Festival freuen, dieses mitgestalten und sich hier und dort einbringen. Uns fällt kein anderes Festival ein, bei dem der hiesige Bäcker extra ein Festivalfrühstück anbietet und fast vier volle Tage hunderte, wenn nicht sogar tausende Menschen mit den leckersten frischen Backwaren versorgt. Und wo wird man noch so freundlich begrüßt, wenn man vom Bahnhof in die Ortschaft läuft und ebenso herzlich verabschiedet, wenn man sie wieder verlässt?
Lediglich eine kleine Veränderung zu den bisherigen Festivals war, dass die jeweiligen Konzerte dieses Mal von Mitarbeitenden angesagt wurden, die sich und ihre Rolle beim Haldern Pop kurz vorstellten. Somit wurden die Menschen hinter den Kulissen nahbarer und die Chance für ein noch größeres Gemeinschaftsgefühl konnte entstehen.
Im Großen und Ganzen kann festgehalten werden, dass das Haldern Pop anlässlich der 40. Ausgabe keine große Sache daraus machte und sich in diesem Sinne keine Besonderheit feststellen ließ. Jedoch liegt womöglich genau darin die Überraschung – das Haldern Pop zeichnet sich nicht durch allerlei Schnickschnack aus, sondern wird von den Besuchenden deswegen geschätzt, weil die Musik, die Entdeckungen, eine gewisse Entspannung auf Festivals bezogen, im Vordergrund stehen. In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch, mögen noch viele weitere Haldern Pops folgen.
Text: Inken & Anne