Nachdem wir vor zwei Jahren das Reeperbahn Festival in voller Pracht erleben durften, ließen wir es uns nicht nehmen, es in diesem Jahr vom 20. bis 23. September wieder zu besuchen und genauer unter die Lupe zu nehmen. Da es gar nicht so leicht ist, den Überblick bei über 500 Konzerten internationaler Künstler_innen und Bands zu behalten, empfiehlt es sich, sich im Vorfeld über die musikalischen Acts zu informieren (da wirklich vieles Neues entdeckt werden kann) und einen Timetable zu erstellen. Dennoch ist es natürlich möglich, sich vom Geschehen treiben zu lassen. Neben all der Musik bietet das Festival ein Kunstprogramm, bestehend aus Workshops, Filmen und Literaturprogramm, was sich größtenteils alles auf der Reeperbahn sowie den Seitenstraßen erstreckt, aber auch umliegende ausgewählte Locations einschließt. Des Weiteren bietet Europas größtes Clubfestival ein sogenanntes Konferenzprogramm, bei welchem Fachbesucher_innen aus der Musik- und Digitalwirtschaft an z.B. Networking Events, Showcases oder Award-Verleihungen teilnehmen können.
Nachfolgend haben wir für Euch unsere Highlights festgehalten, von denen wir sehr angetan waren.
Kat Frankie
Kat Frankie ist in unserem vollen Timetable nicht eingeplant, doch dadurch, dass wir gerade Luft haben, beschließen wir kurzerhand und spontan, sie uns im Mojo anzusehen. Wir sind umso überraschter, als die australische Singer-Songwriterin, welche Einige vielleicht von ihrem Nebenprojekt Keøma kennen, loslegt. Sowohl ihre große stimmliche Bandbreite, welche überwiegend dunkel daherkommt, als auch ihre starke und doch nicht zu überladene Präsenz ziehen uns in den Bann. Ebenso wie ziemlich viele männliche Fans, die von der mal ruhigeren und mal schnelleren, teils poppigen Musik angetan sind. Seit Anfang September gibt es nach fünf Jahren nun eine neue Single namens „Bad Behaviour“, welche ebenfalls vorgestellt wird. Allzu lange dürften wir wohl nicht mehr auf das vierte Album warten. Nachträglich stellen wir fest, dass es sich sehr lohnt, Kat Frankie einmal live zu sehen, da hierbei unserer Meinung nach ihr Gesang noch besser wirkt und zur Geltung kommt.
WILDES
Es ist Donnerstagabend, ja schon fast Nacht, und wir sind auf dem Weg zum Imperial Theater. In diesem kleinen, aber feinen Theater wird gleich Wildes auf die Bühne treten. Bis auf drei Songs namens „Ghost“, „Illuminate“ und dem bekannteren „Bare“ war im Vorfeld nichts weiter über die aus London stammende 20-jährige Singer-Songwriterin zu finden. Bereits beim Hören dieser Songs ging hervor, dass Sängerin Ella Walker (aka Wildes) klar mit Künstler_innen wie London Grammar oder Daughter mithalten kann. Mit nicht allzu vielen Worten legt sie los und entführt das Publikum in eine andere, wunderbare, klangvolle Welt. Das Ambiente untermauert den geheimnisvollen, ruhigen und kräftigen Gesang; Gitarren und Schlagzeug passen sich dem die Zeit über perfekt an. Die zurückhaltende Sängerin ist ein Beispiel dafür, dass keine großen Reden und Shows notwendig sind, um zu überzeugen.
Close Talker
Der Plattenladen Michelle Records kann nur für ein gutes Händchen stehen! Sahen wir vor zwei Jahren dort die tollen Balthazar in einer Akustik-Session, dürfen wir nun Close Talker in diesem kleinen und besonderen Lädchen lauschen. Die Kanadier selbst kündigen sich als „not so loud“ an und schon geht es mit sanften gesanglichen Klängen los, welche immer wieder vom Schlagzeug und Keyboard begleitet werden. Wer das Trio kennt, weiß, dass sie ansonsten auch gerne mal mehr Action zeigen. Umso schöner ist es nun, sie in dieser intimen und publikumsnahen Location zu sehen. Die Indie-Rocker mit folkigen und poppigen Einflüssen präsentieren vor allem Songs ihrer in diesem Jahr erschienenen dritten Platte „Lens“, wie „Afterthought“ und „Okay Hollywood“.
Everything Everything
Um Everything Everything zu sehen, darf man sich nicht zu spät in die bereits vorhandene Schlange stellen. Der Andrang scheint groß zu sein, doch es wundert kaum, da sie gleich im Uebel & Gefährlich, einer größeren Location vom Reeperbahn Festival, spielen. Wir schaffen es dennoch ganz nach vorne und warten gespannt, ebenso die neben uns stehenden Über-Fans mit gebastelten Schildern. Die britische Band, welche im Partnerlook auf die Bühne tritt, liefert eine unterhaltsame und gute Show ab. Ihre in diesem Jahr erschienene vierte Platte „A Fever Dream“ wird zum Besten gegeben und Songs wie „Can´t Do“, „Night of the Long Knives“ oder „Desire“ fehlen nicht, ebenso werden Hits wie „Regret“ oder „Kemosabe“ gespielt. Die alles in allem sehr tanzbaren Nummern, welche die Electro-Pop-Band ausmachen, haben sie wieder einmal unter Beweis gestellt. Leider müssen wir das Konzert frühzeitig verlassen, da wir auf dem Weg zu Banfi sind.
sir Was
Der Schwede, welcher für sein Debütalbum 15 Jahre brauchte, bereichert das diesjährige Reeperbahn Festival mit seiner entspannten und zugleich präsenten Art. Es ist nun Freitagabend und das Knust, eines der größeren Konzertlokalitäten des Reeperbahn Festivals, bleibt nicht leer, ist aber auch keineswegs überfüllt. Getrost kann man sir Was als einen Geheimtipp bezeichnen, was vielleicht auch daran liegen mag, dass seine Musik nicht so leicht einem spezifischen Genre zugeordnet werden kann. Diesen Mix aus HipHop-Beats, Electronica-Loops, Reggae-Elementen, Psychedelica, teils jazzigen oder auch zwischen Soul und Folk angesiedelten Arrangements mag man oder lässt es eben bleiben. Ich ordne mich in die erste Kategorie ein, was durch den Auftritt noch um einiges zunimmt. Sir Was überzeugen uns mit ihrer lässigen Art, ihren ausgezeichneten Live-Qualitäten und ihrem uneinzuordnendem Sound, der, sobald man denkt, einen Vergleich (z.B. erinnert mich „Revoke“ an Tame Impala) gefunden zu haben, schon wieder in eine andere Richtung abdriftet. Jeder Song steht für sich, jeder Song rechtfertigt die 15 Jahre Produktionszeit. Ich glaube auch die Zeit bzw. deren Einflüsse heraushören zu können, welche Joel Wästberg in Südafrika verbrachte. Soundelemente wie Vogelgezwitscher, ein Dudelsack oder Glocken überraschen uns wie aus dem Nichts. Das Konzert, aber auch das Album stehen für Leichtigkeit, Lässigkeit und Vielfältigkeit.
Matt Maltese
Am Donnerstag beginnt unser Programm recht spät. Gegen 21 Uhr begeben wir uns in den Nochtspeicher, um Matt Maltese zu hören. Matt versprüht mit seinen gerade mal 20 Jahren so viel Charme und Sympathie, dass es uns schwer fällt, ihn nicht zu mögen. Neben seiner schüchternen Art zu reden und so manch ironischen Spruch dabei einzubauen, sind auch in seinen Texten allerhand Metaphern eingebaut, seine Sicht zu London oder wie er sich in „As The World Caves In“ eine fiktive Lovestory zwischen Theresa May und Donald Trump vorstellt. Seine Texte sprühen förmlich vor Kreativität, seine Melodien und Ausstrahlung ziehen uns in ihren Bann. Epische Balladen spielt er herunter, als wäre es nichts Außergewöhnliches, wobei seine Stimme den ganzen Raum in Anspruch nimmt. Doch zu guter Letzt möchte ich die spürbare Harmonie der Bandmitglieder untereinander erwähnen. Ein Gitarrist und ein Schlagzeuger sind mit von der Partie und ergänzen sich mit Matts Gesang und Klavierspiel äußerst gut. Immer wieder ist ein Lächeln untereinander zu vernehmen, was sich auf die Fans durchaus ansteckend auswirkt.
Mauno
Diese kanadische Band hatte es mir im Vorhinein mit dem Song „Com“ angetan, weswegen wir sie uns nicht entgehen lassen wollen. Einerseits kann ich sie keiner Schublade zuordnen, andererseits erinnert mich die Stimme des Sängers an die eines anderen Sängers und ich komme einfach nicht darauf, wen ich meine… Spannende Umstände, die uns am Freitagnachmittag in das Kukuun führen. Das Klischee, Kanadier seien höflich und zuvorkommend, bestätigt sich von der ersten Sekunde an: Die Band hat leichte Soundprobleme und entschuldigt sich unentwegt beim Publikum und daraufhin beim Soundtechniker dafür, dass er doch bitte dies und das noch einstellen soll. Als alles irgendwann zu funktionieren scheint, fängt der Sänger an zu flüstern, um das Publikum ruhig zu stimmen. Sein Versuch glückt und Mauno beginnen mit ihrer etwas strukturlos wirkenden Musik, welche das Gute hat, dass man immer wieder überrascht wird. Entweder dadurch, dass nun auf einmal nur der Sänger den Part übernimmt, obwohl er vorher für drei Songs komplett ruhig war oder dass abrupt eine Gitarre einsetzt und genau so unerwartet wieder weggelassen wird oder eine, für uns, für den ersten Moment plötzliche, unpassende Melodie spielt. Die Songs werden teilweise sehr lang ausgebaut, ergeben dann jedoch irgendwann einen Sinn. Die anfängliche Skepsis verwandelt sich in Begeisterung.
Matthew And The Atlas
Mittlerweile schreiben wir den 23. September, Samstagabend. Was könnte es für einen passenderen Ort für die kraftvollen, emotionalen und anmutigen Songs der Londoner Band Matthew And The Atlas geben, als eine Kirche? In unserem Fall treffen wir die Folkband in der hübschen und beschaulichen St. Paulikirche an. Viele haben sich bereits einen Platz mit guter Sicht gesichert. Wir begeben uns ein Stockwerk nach oben und genießen den Blick über den Raum und die gespannten Fans. Gemütlich geht es los, später drängeln sich leider allerhand Leute, die natürlich auch einen guten Platz bekommen möchten, dazwischen. Ich schließe die Augen und schaffe es, die Störfaktoren auszublenden und mich auf die warmen, gefühlvollen Stimmen und Texte der Briten zu konzentrieren. Diese harmonischen Klänge, bei denen man gerne ab und zu mitsummen- und singen möchte, es sich jedoch verkneift, da die Akustik der Kirche wirklich gut ist, sind ein krönender Abschluss des Abends und der vergangenen Tage. Diese Stimmung wollen wir beibehalten und machen uns auf den Heimweg.
Inken & Anne