The 1975 – Notes On A Conditional Form

In Reviews von Eric

The 1975 sind einerseits sehr heutig in ihrer ausgedehnten, eklektischen Genre-Hatz, die ihre bisherigen Alben und auch die aktuelle LP Nummer vier darstellen, andererseits geben sie sich dem Retro-Charme einer ordentlichen Rockstar-Inszenierung nur zu gerne hin. Passenderweise darf Greta Thunberg mit einem Rant das Album eröffnen, die ja mit der von ihr gestarteten „Fridays For Future“-Bewegung eine bedeutende Person des 21. Jahrhunderts ist, deren Forderung nach Natur- und Umweltschutz aber schon seit Jahrzehnten bestehen (frag nach bei Greenpeace oder den Grünen).

Angekündigt wurde „Notes On A Conditional Form“ als Werk, das komplett den Status quo der Lage der Welt reflektieren soll, heruntergebrochen auf persönliche Erfahrungen. In eine ähnliche Richtung ging bereits der Vorgänger „A Brief Inquiry Into Online Relationships“. Klimakrise, Religion, Queerness, Freundschaft, Drogensucht, Facetime-Sex, und immer wieder Referenzen an Technologie und Internet. Das Quartett aus Manchester ist in seiner größenwahnsinnigen Welterklärerei Muse nicht unähnlich, ersetzt aber glücklicherweise Paranoia durch Wokeness.

Musikalisch springt die Band wie gewohnt von Stil zu Stil, auszugsweise seien genannt: Orchester-Pop („The End (Music For Cars)“), Dubstep-Electronica („Shiny Collarbone“), Schmuse-Indie („The Birthday Party“), 80s-Pop („If You’re Too Shy (Then Let Me Know)“), Shoegaze („Then Because She Goes“), Emo-Punk („People“). Bei dieser Angebotspallette sollte Jede*r ein Lieblingsstück finden, ich entscheide mich für das wirklich schöne, mit Bläsern angereicherte Americana-Stück „Jesus Christ 2005 God Bless America“, nicht zuletzt, weil hier die tolle Phoebe Bridgers mitsingt.

Was bleibt nun von dieser 22-Song-Operette? Vor allem die zwiespältige Rezeption der Band und vor allem ihres Songwriters und Frontmanns Matt Healy. Für die einen ist er ein genialer Künstler, der die bestehenden Ungerechtigkeiten und Ungleichheiten anspricht und vor ein großes Publikum stellt. Für die anderen ist er ein narzisstischer Pseudointellektueller, der aus einer privilegierten Position allen die Welt erklären will. Und dann gibt’s bei The 1975 noch die aufgeblähten Tracklists, die Textzeilen in idealer Twitterbarkeit, die perfekt abgewogene Mischung aus cool und uncool, aber auch das Händchen für Pop-Melodien, die Kraft für das Eintreten für Minderheiten, und die Selbstgewissheit, eine wirkliche Millennials-Band zu sein…

Wir haben zum Glück in unserer auferlegten Heimeligkeit genug Zeit, dieses Werk in Gänze zu entdecken. Einen endgültigen Sinn möchte ich aber nicht versprechen.

Tracklisting

  1. The 1975
  2. People
  3. The End (Music For Cars)
  4. Frail State Of Mind
  5. Streaming
  6. The Birthday Party
  7. Yeah I Know
  8. Then Because She Goes
  9. Jesus Christ 2005 God Bless America
  10. Roadkill
  11. Me & You Together Song
  12. I Think There’s Something You Should Know
  13. Nothing Revealed / Everything Denied
  14. Tonight (I Wish I Was Your Boy)
  15. Shiny Collarbone
  16. If You’re Too Shy (Let Me Know)
  17. Playing On My Mind
  18. Having No Head
  19. What Should I Say
  20. Bagsy Not In Net
  21. Don’t Worry
  22. Guys