Foto: Inken
Viele Bands machen es uns schwer, sie in irgendeine geeignete, für uns doch so nützliche Schublade zu stecken. Sei es auftritts- oder genretechnisch gesehen. Oum Shatt ist das beste Beispiel dafür.
Oft bekommt man den Satz „Die Band um Jonas Poppe“ zu lesen, was sicher daran liegen mag, dass er der Sohn der DDR-Bürgerrechtler Gerd und Ulrike Poppe ist und früher Teil der Band Kissogram war. Ein weiteres Merkmal der Berliner sei ihre dermaßen lässige Art, als seien sie gerade aus einem Arthouse-Film geschlüpft. Möchte man jemandem ihren Sound erklären, gerät man jedoch leicht ins Wanken.
Häufig wird der Sound des Quartetts als eine Mischung aus Surf-Melancholie und orientalischen Klängen beschrieben. Doch da ist noch viel mehr. Gerade auf der Bühne ist das zu spüren, denn hier treten die ganzen orientalischen Einflüsse gar nicht allzu sehr in den Vordergrund. Hinzu kommen psychedelische Klänge, unverfälschter Rock ’n’ Roll, aber auch elektronische Anwandlungen sind zu finden. „Hot Hot Cold Cold“ erinnert fast an Joy Division und verwirrt den einen oder anderen Genre-Suchenden gleich noch mehr. Auch der Vergleich zu Franz Ferdinand ist nicht weit hergeholt. Doch schon lassen an dieser Stelle die orientalischen Klänge nicht lange auf sich warten und werden bei Songs wie „Bangladesh“ oder „Ya Ya Ya“ bis zum Ende ausgereizt. Sie schaffen es, eine Brücke zwischen Orient und Okzident, zwischen damals und heute, so geschickt zu schlagen, dass es so klingt, als hätte es so einen Klang schon immer gegeben. Man will einfach nur stundenlang dazu tanzen, und die Dauerschleife kennt kein Ende. Andererseits ist der Klang so außergewöhnlich, neu, merkwürdig und anders.
Können sie diese Explosion aus Cayennepfeffer, Kurkuma, der punkigen und rockigen Lässigkeit auch auf der Bühne umsetzen? Definitiv. Zuerst treten Hazem Nassreddine mit einem Kanun und Salam Alhassan samt Percussion, beide aus Damaskus stammend, auf die Bühne des Lidos und supporten Oum Shatt wunderbar passend mit orientalischen Melodien. Leider weiß das altersmäßig sehr durchwachsene Publikum den Support nicht wirklich zu schätzen und unterhält sich lautstark. Lediglich die erste Reihe scheint sich etwas intensiver auf das Fingerspitzen- und Rhythmusgefühl zu konzentrieren. Schade, dass manche ihre Aufmerksamkeit anscheinend nur einer mehrköpfigen, singenden und westliche Instrumente spielenden Band widmen können. Umso besser ist es, dass Hazem Nassreddine und Salam Alhassan sich hauptsächlich mit ihren Instrumenten beschäftigen und den Blick nicht allzu oft ins Publikum schweifen lassen.
Nach den sicher auch sehr tanzbaren und für uns ungewohnten Klängen verabschieden die sympathischen Männer sich, und wenig später schweben Oum Shatt auf die Bühne. Schlagzeuger Chris Imler ganz lässig in Jogger und einem seidigen bunten Hemd plus Krawatte, aber auch der Rest wirkt irgendwie locker-lässig und zugleich auf eine unaufdringliche Art und Weise edel und charmant. Spätestens beim Erklingen der ersten Töne von „Bangladesh“ und Jonas‘ Stimme ist klar, die Jungs sind und bleiben geheimnisvoll und sind sich dessen wahrscheinlich nicht mal unbedingt bewusst.
Weiter geht es mit „Delta“, „Ya Ya Ya“, „Silent Girl“ und „Hot Hot Cold Cold“. Nur ein, zwei Lieder des einzigen und somit aktuellen Albums „Oum Shatt“ fehlen, was jedoch nicht weiter auffällt. Ihr bisher bekanntester Song „Power To The Woman Of The Morning Shift“ ist natürlich mit von der Partie, und spätestens hier zuckt bei ein paar Leuten dann doch mal der große Zeh. Mehr als verwunderlich ist es jedoch, dass bis auf ein paar Leute der ersten und zweiten Reihe niemand am Tanzen ist, trotz treibender, wilder und zugleich verträumter Rhythmen. Das soll mir mal einer erklären.
Nach einem nicht enden wollenden Beifall springen Sänger Jonas Poppe, Keyboarder Jörg Wolschina, Gitarrist Richard Murphy und Drummer Chris Imler noch einmal auf die Bühne. Chris geht zum Mikrofon und meint: „Wir spielen jetzt ein Lied, das spielen wir sonst nie, weil… das werdet ihr gleich sehen.“ Auch dieses Lied reißt mich mit und erinnert ein wenig an The National. Danach liefern sie uns mit einem weiteren Mal „Hot Hot Cold Cold“ den krönenden Abschluss.
Spätestens nach diesem Konzert ist klar: wir brauchen mehr von der Coolness, diesen Experimenten und den schrägen Typen, welche sich Oum Shatt nennen!
Nach dem Konzert habe ich die Platte bestimmt zehn Mal durchgehört, um nun festzustellen, dass ich sie mir nicht entgehen lassen werde, wenn sich die Möglichkeit bietet, sie noch einmal zu sehen. Ebenso steht für mich fest, dass Oum Shatt eine Bereicherung für jede Spotify-Playlist, jeden Plattensammler und jede MP3-Liste ist. Vor allem, wenn man sie live sehen darf, schätzt man ihr Konzept der Kombination von Orientklängen und Rock um so mehr.