Sogar das Wetter scheint an diesem Tag Werbung für das neue Album von Anders Wendin alias Moneybrother zu machen. Denn die Sonne strahlt an diesem goldenen Oktobertag von einem fast wolkenlosen Himmel. Es ist noch so angenehm warm, dass wir zum Interview im Garten des Postbahnhofs Platz nehmen können. Und das Wetter passt auch zur Stimmung auf „Mount Pleasure“, einem für Moneybrother-Verhältnisse fast fröhlich zu nennenden Werk, bei dem er sich von der in Streicher gebetteten Melancholie entfernt, mehr klassische Rock-Platte denn Northern-Soul-Album.
Doch Anders Wendin wirkt ein wenig müde, gerade hat er ein Interview mit einem Kamera-Team geführt, und nach mir sollen auch gleich die nächsten Fragesteller an die Reihe kommen. Die Promo-Maschine des neuen Major-Labels läuft auf vollen Touren. Und so ist Moneybrother im Interview zwar interessiert, sein wahres Interesse gilt aber dem abendlichen Konzert, was er später mit einer euphorisierenden Show unter Beweis stellen wird. Ein Gespräch über Schnitzel, Selbstmord und Springsteen.
Soundmag: Was ist dein tägliches „überlebenswichtiges“ Ritual?
Moneybrother: Mit einem Tag ohne Frühstück kann ich nichts anfangen. Wenn du auf Tour bist, wachst du manchmal um elf oder zwölf Uhr mittags auf, du weißt nicht genau wo du bist, auf irgendeiner Straße. Und dann wird es manchmal 15 Uhr bist du etwas zu essen bekommst, und das ist dann oft nicht das, was du eigentlich willst, ein Schnitzel oder so. Ich brauche ein vernünftiges Frühstück.
Soundmag: Da gehört dann Schnitzel nicht dazu?
Moneybrother: Vorzugsweise nicht. Aber ich versuche höflich zu sein, und probiere alles was es gibt. Ja, Frühstück, das ist mein Ritual. Und ich putze meine Zähne. Nicht alle Jungs im Bus tun das!
Soundmag: Also ist dein Zahnarzt zufrieden mit dir?
Moneybrother: Bis jetzt gab es keine Klagen.
Soundmag: Was war denn dein denkwürdigster oder inspirierendster Gig?
Moneybrother: In meinem ganzen Leben? Ich bin in einer Band seit ich 15 war, jetzt bin ich 33. Auf jeder Tour gibt es Momente, die einem im Gedächtnis bleiben. Aber ich kann jetzt keinen bestimmten Gig benennen. Wenn du ein Konzert in einem Land spielst, wo du nicht sehr bekannt bist, und dann nur zehn Leute auftauchen, ist das trotzdem genau das, was du machen willst. Ich erinnere mich an unser erstes Konzert in Deutschland, das war in Köln, da sind zwölf Leute gekommen. Aber es war trotzdem ein toller Gig, und es stellte sich heraus, dass drei von ihnen von VIVA waren, darunter auch Charlotte Roche. In ihrer Sendung nach dem Konzert hat sie mein Video dreimal gespielt!
Soundmag: Sie hat geholfen, den Grundstein für deinen Erfolg in Deutschland zu legen.
Moneybrother: Ja, auf jeden Fall. Ich habe aber gar nicht mit ihr geredet, weil ich nach dem Konzert noch Merchandise-Artikel verkauft habe. Aber sie hat ein paar T-Shirts gekauft. (grinst)
Soundmag: Dein neues Album klingt für mich wie eine klassische Rock-Platte, verglichen mit „To Die Alone“, auf der es viele Streicher gab. War es von Anfang an eine bewusste Entscheidung, genau so ein Album zu machen, oder hat sich das mehr als organischer Prozess ergeben?
Moneybrother: Ich war über ein Jahr lang mit den Songs von „To Die Alone“ auf Tour. Das hat mich dazu gebracht, etwas Neues zu probieren. Es war also eine bewusste Entscheidung.
Soundmag: Aber „Mount Pleasure“ hat trotzdem noch einen melancholischen Grundton. Für andere Musiker wäre das wahrscheinlich ihr trauriges Album, aber für deine Verhältnisse ist es direkt fröhlich und unbekümmert.
Moneybrother: Ich sehe das genauso, bis jetzt hat nur keine diese Frage gestellt. Du hast auf jeden Fall Recht, bei jedem Anderen würde man sagen: Das ist jetzt sein großes, tragisches Werk.
Soundmag: Liegt es vielleicht daran, dass du aus Schweden kommst, dass du eine so stark melancholische Seite hast?
Moneybrother: Wenn du dir alte schwedische Schriftsteller anschaust: die meisten haben sich umgebracht. Vielleicht liegt es daran, dass Schweden ein so dunkles und kaltes Land ist. Wenn du aber Moneybrother auf der Bühne siehst, macht das keinen depressiven Eindruck.
Soundmag: Nein, sicherlich nicht.
Moneybrother: Auf der Bühne versuche ich, eine andere Energie als auf Platte zu transportieren.
Soundmag: Dein „neuer“ Sound ist meiner Meinung nach epischer als zuvor, mit einigen Gitarren- und Saxophon-Soli. Deswegen hat er mich auch an alte Bruce-Springsteen-Alben erinnert.
Moneybrother: Wenn Leute wie du, so mit Mitte 20, an 70ies Rock’n’Roll denken, dann fällt ihnen natürlich als Erstes der Name Bruce Springsteen ein. Ich bin ein Connaisseur, ich höre oft und viel Musik, Leute wie Bob Seeger, Elvis Costello, Patti Smith, ich liebe den alten Rock’n’Roll. Mit den neuen Sachen wie z.B. den Kaiser Chiefs kann ich nicht soviel anfangen. Ich bin nun mal old school. (grinst)
Soundmag: Du warst auch einige Monate in Los Angeles. Wolltest du dir dort einen sonnigen Beach-Boys-Vibe für dein Album holen, oder war das reiner Urlaub?
Moneybrother: Es ist schwierig, da klar zu trennen, die Inspiration kann dich immer treffen. Ich habe einige schwedische Freunde, Schauspieler, die nach L.A. gegangen sind, um den Durchbruch zu schaffen. Die machen dort Party, gehen an den Strand und so weiter. Ich war da immer ziemlich neidisch drauf, ich durfte bloß nach Deutschland. (Gelächter) Also hab ich sie angerufen und sie besucht. Sie haben aber wirklich gearbeitet, sind zu Vorsprechen gegangen, während ich die ganze Zeit nur abgehangen habe. Ich wachte also nicht morgens auf und sagte zu mir: „Heute muss die Inspiration aber kommen!“, es passiert einfach.
Soundmag: Hast du viele Songs in Kalifornien geschrieben?
Moneybrother: Nein, das waren vielleicht drei Stück, aber die haben mich alle nicht restlos überzeugt.
Soundmag: Du hast am Ende deines Aufenthalts auch Aufnahme-Sessions gebucht, diese dann aber abgebrochen. Was war der Grund?
Moneybrother: Wir hatten schon Aufnahmen gemacht, aber die Musiker mit denen ich dort gespielt habe, waren professionelle Studio-Musiker. Und bei Moneybrother, auch wenn man es vielleicht nicht hört, ist immer ein Punk-Spirit dabei. Wenn du diesen Spirit wegnimmst, fehlt etwas Essentielles. Und die Musiker in L.A., nun, sie waren Amerikaner, sie hatten keinen Punk.
Soundmag: In dem Song „It Might As Well Be Now“ geht es um einen Mann, der seine Exfreundin trifft, und versucht, sie an ihre schönen gemeinsamen Zeiten zu erinnern. Ist dir das selbst passiert oder…
Moneybrother: Andauernd.
Soundmag: Man könnte den Song auch als eine Metapher dafür lesen, wie schwierig es ist, jemand loszulassen, den man einmal geliebt hat.
Moneybrother: Wenn du in der Situation bist, jemand gehen lassen zu müssen, ist es immer schwierig. Wenn sie zu dir sagt: „Ruf mich nicht mehr an“, hast du zwei Möglichkeiten: Entweder du löschst die Nummer, oder du rufst sie jeden Tag an, „lass es uns doch noch einmal versuchen“. Viele meiner Songs handeln von Liebe, das ist einfach das Thema, über das ich gerne schreibe.
Soundmag: Bei „Just Another Summer“ singst du davon, das intensive Gefühl der Liebe zurückhaben zu wollen, wenn man jung ist. Wird Liebe zur Routine, wenn man älter wird?
Moneybrother: Nein, aber wenn du etwas zum ersten Mal machst oder erlebst, ist das einfach intensiver als beim zweiten Mal, oder zumindest überraschender. Du kannst auch mit 65 erst deine große Liebe finden, aber wenn man jung ist, fühlt sich das alles größer an.
Soundmag: Was ist für dich persönlich der wichtigste Song auf „Mount Pleasure“?
Moneybrother: „It Will Not Happen Here“ ist für mich der Beste. Das Songwriting ist einfach brillant (grinst). Das war der erste Song, den ich für das Album geschrieben habe, der Text und die Musik ergeben einfach eine tolle Kombination.
Soundmag: Auf der deutschen Version des Albums ist auch ein Song mit Judith Holofernes, „Magic Moments“. Wolltest du wirklich einen Song mit ihr aufnehmen, oder war das ein Zugeständnis an die Plattenfirma?
Moneybrother: Wir waren mit Wir sind Helden auf Tour, und Judith ist wirklich ein unglaubliches Mädchen. Ich und die ganze Band sind Freunde geworden, die meiste Zeit habe ich mich aber mit Judith unterhalten. Sie ist wirklich cool, ich liebe sie. Ich sah Wir sind Helden einige Male live, und als ich „Magic Moments“ geschrieben hatte, dachte ich zuerst, sie könnten ihn spielen und habe auch mit ihnen darüber geredet. Aber ich wollte ihn dann doch lieber selbst zusammen mit Judith aufnehmen. Und als ich das der Plattenfirma gesagt habe, waren die auch ziemlich glücklich.
Soundmag: Du bist jetzt mit dem neuen Album auf einem Major-Label. Hat sich dadurch für dich als Musiker etwas geändert?
Moneybrother: Du kriegst mehr Spielzeit im Radio und Fernsehen, ich denke, die Leute bei meinem Label machen einen guten Job. Aber die Musik ändert sich dadurch nicht, sie bleibt das Wichtigste.
Soundmag: Siehst du die ganzen Promotion-Verpflichtungen, die das mit sich bringt, als eine Last an?
Moneybrother: Ich bin sehr zufrieden mit meinem neuen Album, und auch stolz darauf. Manche Sachen muss man dafür nun mal machen.
Soundmag: Aber der Deal gibt dir auch finanzielle Sicherheit, v.a. wenn man die Krise des Musikmarktes bedenkt.
Moneybrother: Ja, sicher. Ich habe den Deal mit SonyBMG für Europa exklusive Skandinavien abgeschlossen. Ich mache also dort immer noch mein eigenes Ding. Ich mache auch noch das ganze Artwork für die CD und habe meine musikalische Freiheit, und wenn mich SonyBMG dafür bezahlt, umso besser.
Soundmag: Heutzutage verdienen Bands hauptsächlich mit Konzerten Geld, während sie es früher mit ihren Alben verdienten. Dienen Alben heute nur noch dazu, Tickets zu verkaufen?
Moneybrother: Ich mache mir nicht so viele Gedanken über diesen Business-Kram. Meine Hauptaufgabe ist es, Songs zu schreiben, und das tue ich. Wenn die Leute einen neuen, guten Song hören, dann wird er auch den Weg zu ihnen finden.
Soundmag: Du spielst meistens mit der gleichen Bandbesetzung. Ist es dir wichtig, dass du dieselben Leute mit auf Tour hast?
Moneybrother: Wenn ein Musiker nicht mehr mit mir spielen will, dann ist das okay, ich kann ihn nicht zwingen. Das Leben geht weiter. Aber mit Gustav, dem Saxophonisten, spiele ich schon seit zehn Jahren zusammen, und es wäre schon ein komisches Gefühl, wenn er plötzlich weg wäre.
Soundmag: Was steht für dich als nächstes an?
Moneybrother: Viel touren, im Februar geht es dann auch in die USA, nach Texas, und ebenfalls im Februar komme ich wieder nach Deutschland zurück. Und im Sommer dann wahrscheinlich ein paar Festivals.
Soundmag: Hörst du dir eigentlich deine eigenen Songs an? Charlotte Roche meinte, das wäre, als ob man sein eigenes Sperma essen würde.
Moneybrother: Wenn das Mixing und alles abgeschlossen ist, dann hat das Flugzeug sozusagen abgehoben, dann höre ich mir normalerweise nichts mehr an. Ich esse also nicht mein eigenes Sperma.